I. Bauer u.a. (Hrsg): Die spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen

Titel
Die spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen von Zug-Sumpf Band 3,1.2. Die Funde der Grabungen 1923-37.


Autor(en)
Bauer, Irmgard; Ruckstuhl, Beatrice; Speck, Josef
Erschienen
Zug 2004: Museum für Urgeschichte(n) Zug
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
ISBN
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Brigitte Röder, Gesamtschweizerische Koordination der Graduiertenkollegien Gender Studies, Zentrum Gender Studies, Universität Basel

Mit der Vorlage des dritten Bandes hat das zwölfjährige Projekt zur Auswertung und Publikation der spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen von Zug-Sumpf seinen erfolgreichen Abschluss gefunden. Nachdem in den ersten beiden Bänden die Befunde, die dendrochronologischen und archäobiologischen Ergebnisse sowie die Funde der Ausgrabungen von 1952 bis 1954 publiziert worden waren, behandelt der dritte Band die Funde der Grabungen von 1923 bis 1927. Die Fundzettel dieser Kampagnen sind verloren gegangen; die Funde aus den Jahren 1923 bis 1927 sind daher heute als unstratifiziert zu werten. Auf Basis verschiedener Kriterien lassen sie sich zum Teil jedoch nachträglich einer der beiden dendrochronologisch datierten Kulturschichten zuweisen, die während der Kampagnen in den 1950er Jahren ausgegraben und dokumentiert wurden; ihr stratigraphisch und typologisch klar unterscheidbares Fundmaterial wurde in Band 2 vorgelegt und dient als typochronologische Referenz für die unstratifizierten Funde aus den 1920er Jahren. Infolge dendrochronologischer Nachuntersuchungen, deren Ergebnisse in Band 3 nun erstmals veröffentlicht werden, hat sich die Datierungsspanne der älteren Kulturschicht um zwei Jahre verlängert und umfasst damit die Zeit zwischen 1056 und 938 v.Chr. Die Datierung der jüngeren Kulturschicht in die Jahre zwischen 880 und 860 v.Chr. wurde durch die Nachuntersuchungen hingegen bestätigt. Auf dieses chronologische Gerüst können sich die Bearbeiter/innen der verschiedenen Materialgruppen in ihren Auswertungen beziehen.

Aus den Grabungen der 1920er Jahre liegt ein umfangreiches und vielfältiges Fundmaterial vor. Es umfasst 660 kg Keramikscherben von annähernd 6000 Gefässen, 583 Bronzeobjekte, Gussformen aus Sandstein und Keramik, Spinnwirtel, Tonringe, Webgewichte, Tonspulen, Mondhörner, Geflechte und Gewebe, Holzobjekte, Silex- und Felsgesteinartefakte sowie Schmuck aus Glas, Bernstein und Sapropelit. Geweih- und Knochenartefakte waren im Fundbestand offenbar nicht enthalten. Sämtliche Fundgruppen sind vorbildlich aufgearbeitet und mit ausgezeichneten Zeichnungen und Photos dokumentiert. Das Besondere an dieser Fundvorlage ist, dass sie sich durchgängig an Fragestellungen orientiert, die weit über Typologie, Chronologie und Verbreitung der besprochenen Artefakte hinausgehen und auf wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des dörflichen Alltagslebens in der Spätbronzezeit abzielen.

Zur Beantwortung dieser Fragen haben die BearbeiterInnen der einzelnen Fundgruppen verschiedene, zum Teil ganz neue Wege beschritten. Dazu gehören die systematischen und in grossem Umfang durchgeführten archäometrischen Analysen von Funden aus Bronze, Keramik, Holz, Glas und Sapropelit, die durch die experimentelle Herstellung von Keramikgefässen, Gusstiegeln, Bronzen und Wollfäden ergänzt werden. Die archäometrischen Analysen und die durchgeführten Experimente orientieren sich konsequent an den kulturgeschichtlichen Fragen, welche auch die archäologische Fundbearbeitung leiteten. Bemerkenswert ist darüber hinaus die enge inhaltliche Verzahnung von archäometrischen Analysen, Experimenten und archäologischer Fundbearbeitung, durch die aus den Artefakten ein Maximum an kulturgeschichtlichen Informationen gewonnen wurde.
Ebenfalls innovativ ist die Rekonstruktion sogenannter Handschriften und darauf aufbauend von Geschirrsets im Rahmen der Keramikauswertung. Beides zielt darauf ab, die Gefässproduktion einzelner Individuen fassbar zu machen und darüber hinaus Informationen über die Organisation der Keramikherstellung und die soziale Funktion der identifizierten Geschirrsets zu gewinnen. Die Rekonstruktion von Handschriften beruht auf der Annahme, dass die Keramikherstellung ein automatisierter, zugleich hoch individueller Prozess ist, der – wie eine Handschrift – charakteristische persönliche Züge trägt, die sich auf den Gefässen in Form spezifischer Merkmalsmuster niederschlagen. Um letztere aufzudecken und zu beschreiben, wurden Kriterien aus der Graphologie herangezogen. Das Ergebnis – 16 identifizierte Handschriften – ist überzeugend und beinhaltet eine Reihe interessanter Schlussfolgerungen zur Organisation der Gefässproduktion. Zugleich ist es faszinierend, weil im toten Fundmaterial unmittelbar Individuen fassbar werden, deren Temperament und Charakter sich an den Keramikscherben noch nach drei Jahrtausenden abzuzeichnen scheinen. Ob in diesem Grenzbereich zwischen wissenschaftlicher Nachvollziehbarkeit und persönlicher Intuition Schlussfolgerungen wie «Man hat den Eindruck, als handelte es sich hier um eine unbekümmerte, temperamentvolle Frohnatur.» (S. 210) wissenschaftlich legitim sind, mag jede/r Leser/in selbst entscheiden. Für mich sind sie aus wissenschaftlicher Sicht irritierend, zugleich aber auch mutig und begrüssenswert, weil sie offen mit dem theoretisch bekannten, in der Praxis aber selten transparent gemachten Phänomen des persönlichen, forschungsleitenden Hintergrunds der Forschenden umgehen.

Überhaupt zeichnet sich der ganze Band durch eine erfreulich hohe wissenschaftliche Transparenz aus: Die Ziele und Fragestellungen sind klar benannt und Vorgehen wie Schlussfolgerungen sind nachvollziehbar dargelegt. Darüber hinaus ist der Band auch sehr benutzer/innenfreundlich. Er ist verständlich geschrieben, reich und anschaulich bebildert, und die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Kapitel sind dank einer ausführlichen, dreisprachigen Zusammenfassung am Schluss des Textbandes schnell zu erschliessen. So lässt er eigentlich nur einen Wunsch offen: eine Bündelung und Weiterführung der zahlreichen, aber im ganzen Band verstreuten wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Schlussfolgerungen im Rahmen einer weiteren Publikation.

Zitierweise:
Brigitte Rödel: Rezension zu: Irmgard Bauer, Beatrice Ruckstuhl, Josef Speck, Die spätbronzezeitlichen Ufersiedlungen von Zug-Sumpf Band 3,1.2. Die Funde der Grabungen 1923-37. Mit Beiträgen von Markus Binggeli, Sabine Bolliger Schreyer, Jeanne Bonzon, Christian Maise, Peter Northover, Antoinette Rast-Eicher, Werner E. Schoch, Andrew Shortland und Atika Stempfel-Benghezal. Zug 2004. 356 S. (Text), 357 Abb., 232 Taf., 42 S. (Katalog), 29 S. Anhänge. Zuerst erschienen in: Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte, Nr. 88, 2005, S. 402.

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